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Aus der Funkschau 1982 Heft Nr. 15
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 40 (von 72)

von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1982
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Inhalt von Teil 2 (Artikel 40 bis 72 - Kurzform)

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  1. Anfang und Ursprung der magnetischen Tonspeichertechnik
  2. Die frühen Ideen des Oberlin Smith
  3. Der Anfang: PoulsensTelegraphon
  4. Ein Neuanfang mit dem Stahlton
  5. Eine Überraschung: Das magnetisierbare Papierband
  6. Im Zweiten Weltkrieg werden tragbare Bandgeräte konstruiert
  7. Das Tonband auf dem Weg zur High-Fidelity
  8. Der bespielte Schallfilm: Ein neues Medium?
  9. Eine deutsche Erfindung geht um die Welt
  10. Erste Bemühungen um eine bespielte Tonbandkassette
  11. Eine Musikkassette, in Europa erfunden, erobert die Welt
  12. Mit der Compactcassette zu Stereo in HiFi
  13. Die geschichtliche Entwicklung des Tonbandes in der Nachkriegszeit 
  14. Ein halbes Jahrhundert Rauschverminderung
  15. Die Tonbandstory - eine Zusammenfassung

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Von der Tonwalze zur Bildplatte
Ein Jahrhundert Ton- und Bildspeicherung

Zum 100. Geburtstag der Tonspeichertechnik startete die FUNKSCHAU die Beitragsreihe „Von der Tonwalze zur Bildplatte - 100 Jahre Ton-und Bildspeicherung" von Prof. Dr.-Ing. E. h. Walter Bruch. Ihr erster Teil erstreckte sich von Heft 24/1977 bis zum Heft 10/1979 über 39 Folgen und behandelte die Geschichte der mechanischen Tonspeicherung.

Nach dieser 39. Folge hatte Prof. Bruch die Veröffentlichung auf Wunsch der Redaktion erst einmal unterbrochen - die Weiterführung der Serie mit den Teilen Tonband sowie Videorecorder und Bildplatte war für den Herbst 1979 geplant. Allerdings war das aus verschiedenen Gründen nicht möglich, und so dauerte es schließlich mehr als zwei Jahre, bis wir nun mit dem zweiten Teil - der Entwicklung des Tonbandes - beginnen können.

Trotz dieser langen Unterbrechung schließt sich dieser zweite Teil nahtlos an den ersten an, was auch in der Weiternumerierung der einzelnen Fortsetzungen zum Ausdruck kommt: In diesem Heft beginnt also die 40. Folge der Beitragsreihe.

Unser heutiges Tonband als magnetischer Speicher
- wo beginnt seine Geschichte?

Sollen wir im Jahr 1900 anfangen, dem Jahr, in dem der Däne Waldemar Poulsen auf der Weltausstellung in Paris erstmals die elektromagnetische Speicherung von Sprache auf Stahlband und Stahldraht öffentlich vorführte? Ein Anfang! Oder sollen wir bis auf die Quelle zurückgehen, bis zum Ursprung?

Wir sollten uns an Albert Einstein halten, der in einer viel beachteten Ansprache anläßlich der Eröffnung der Funkausstellung 1930 in Berlin - derjenigen, die erstmals den Zusatztitel „Phonotechnik" führte - die Forderung aussprach, sich an die zu erinnern, von denen jeweils der Ursprung ausging.

Er nannte Oerstedt und Faraday. Dieser Empfehlung folgend, gehen wir bis auf diese beiden zurück. Ihnen ist die Entdeckung der physikalischen Effekte zu verdanken, die zur Grundlage für die elektromagnetische Aufzeichnung und deren Wiedergabe wurden.

Anfang und Ursprung der magnetischen Tonspeichertechnik

Bild 1. Oerstedt entdeckt 1820 die magnetische Fernwirkung eines stromdurchflossenen Leiters an der Auslenkung der Nadel eines zufällig unter dem Draht stehenden Magnetkompasses

Für die Magnetschrift führen wir diesen Ursprung auf den uns von Einstein genannten Dänen Hans Christian Oerstedt (1777-1851) zurück, der den Elektromagnetismus entdeckte. Ganz zufällig soll er darauf gekommen sein, so ähnlich wie ein Jahrhundert später Walter Weber auf die Herabsetzung des Bandrauschens bei der Tonbandaufzeichnung durch die Hochfrequenzvormagnetisierung kam. So wie der von Weber beobachtete Effekt (den - angeblich - ein zufällig schwingender Verstärker hervorrief) zusammen mit seinem Kollegen Braumühl sofort erkannt, gedeutet und dann genutzt wurde, so ähnlich zufällig beobachtete Oerstedt einen Effekt, dessen Deutung zur Entdeckung des Elektromagnetismus führte.

Strom aus einer Batterie bewegt die Nadel

Bei einer Vorlesung im April 1820, bei der ein Platindraht durch einen von einer Batterie gelieferten Strom zum Glühen gebracht wurde, fiel Oerstedt auf, daß eine zufällig unter dem Draht parallel zu ihm liegende Magnetnadel vom Strom aus ihrer Normalrichtung gedreht wurde (Bild 1). Sofort angestellte systematische Untersuchungen ließen ihn erkennen, daß die Nadel sich nur bei eingeschaltetem Strom drehte und sich die Drehrichtung änderte, wenn die Stromrichtung umgepolt wurde [1]. Gefunden und gedeutet hatte er die magnetische Wirkung des elektrischen Stromes in den umgebenden Raum, ähnlich wie die von Wärme oder Licht.

Man mußte es erahnen oder wissen

Eine interessante Parallele zu Braumühl-Weber! Oerstedt hat oft betont, daß er lange vorher ohne Erfolg nach einer magnetischen Wirkung des elektrischen Stromes gesucht habe und er deshalb die zufällig beobachtete Erscheinung als physikalische Entdeckung erkennen konnte. In persönlichen Gesprächen hat mich Dr. v. Braumühl mehrfach darauf hingewiesen, daß der von Weber „zufällig" entdeckte Effekt nur dem schon jahrelang an der Weiterentwicklung des Tonbandes forschenden Ingenieur auffallen und nur er ihn deuten konnte.

Georg Christian Lichtenbergs Erkenntnis:

Bild 2. Bald weiß man, daß die magnetischen Kraft- linien um einen geraden stromdurch- flossenen Leiter in konzentrischen Kreisen verlaufen
Bild 3. 1821 stellt Davy fest, daß eine Stahlnadel, quer zu einem stromdurchflossenen Leiter gelegt, dauerhaft magnetisiert wird - Vorbild für die spätere magnetische Tonaufzeichnung!

Für all diese zufälligen Entdeckungen trifft zu, was der durch seine geistreichen Aphorismen bekannte Georg Christian Lichtenberg (1742-1851) einmal geschrieben hat:

  • Es ist sonderbar, daß nur außerordentliche Menschen die Entdeckungen machen, die nachher so leicht und simpel erscheinen.

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Das Rad der Ideen fing an zu rollen

Die Kunde von Oerstedts sensationeller Entdeckung verbreitete sich schnell. Sie regte viele namhafte Physiker zu systematischen Untersuchungen an, mit dem Erfolg, daß schon am Ende des Entdeckungsjahres 1820 das Erscheinungsbild des Elektromagnetismus so in seinen Prinzipien gedeutet war, wie wir es heute kennen.

Eine große Rolle spielte dabei die von den Naturmagneten
her schon bekannte Ausrichtung von Eisenfeilspänen auf Papier in Richtung der magnetischen Feldlinien. So fand man, daß sich um einen stromdurchflossenen langen Draht, der senkrecht durch das mit Eisenfeilspänen bestreute Papier hindurchgesteckt war, die Kraftlinien in Kreisen ordnen (Bild 2).

Man erkannte ferner - was dann acht Jahrzehnte später für die magnetische Tonspeicherung wichtig werden sollte -, daß der elektrische Strom auch magnetisieren konnte. Der englische Forscher Sir Humphry Davy (1778-1829) berichtete darüber in einem Brief an den Physiker W. H. Wollaston [2]. Stahlnadeln machte er permanentmagnetisch, indem er sie quer zum Stromleiter an diesen heranbrachte (Bild 3).

Eine Erfindung und kein Patentamt

Und schon kam die erste Erfindung hinzu, obwohl es noch kein Patentamt gab. Aus der Tatsache, daß der Nadelausschlag bei Oerstedt in unterschiedliche Richtung ging, je nachdem, ob der Draht über oder unter der Magnetnadel entlanggeführt wurde, schloß er, daß eine Verdoppelung der Wirkung entstehen müsse, wenn der Leiter erst über die Nadel geführt und dann zu einer unter der Nadel zurückführenden Schleife gebogen wird. Mehrere Windungen würden dann eine Vervielfachung der Wirkung ergeben.

Diesen „Multiplikator" nützte sein Erfinder, J. S. Schweigger (1797-1876), für ein empfindliches Galvanometer aus. - Wir werden die magnetisierende „Spule", das Solenoid, bei dem ersten Vorschlag für eine magnetische Tonaufzeichnung von Oberlin Smith (1888) wiederfinden.

Es dauerte 11 Jahre und ein wenig mehr . . .

Bild 4. 1831 führte Faraday mit einem Demonstrationsmodell dieser Art die von ihm entdeckte Magnetoinduktion vor. Wird der Stabmagnet zur Spule oder in dieser bewegt, so entsteht während der Bewegung im angeschlossenen Galvanoskop ein Ausschlag. Jede Lageänderung des Magneten in bezug auf die Spule ruft einen Ausschlag hervor - Vorbild für die spätere Abtastung einer Magnet-Tonspur!
Bild 5. Er brachte erstmals eine magnetische Tonschrift zum Klingen: Charles Sumner Tainter (1854-1940)

Den physikalischen Effekt, der für die Wiedergabe einer Magnetschrift benutzt werden konnte, also die Rückwandlung einer magnetischen Toninformation in elektrische Signale, fand elf Jahre nach Oerstedts Entdeckung der uns ebenfalls von Einstein genannte Michael Faraday (1791-1826). In seinem berühmten Vortrag mit dem Titel „Experimental Researches on Electricity" am 24. November 1831 in der Royal Society in London [4] zeigte er, wie in einer Spule, wenn ein Magnet in sie hineingeschoben wird, ein Strom induziert wird, der ein Galvanometer ausschlagen läßt (Bild 4). Damit war das Gesetz der magnetischen Induktion gefunden. „Verwandele Magnetismus in Elektrizität", hatte Faraday in eines seiner Notizbücher geschrieben. Und das genau ist es, was wir bei der Wiedergabe eines Tonbandes machen.

Doch bis dahin verging noch ein halbes Jahrhundert.

Zwei geniale Erfinder waren Alexander Graham Bell und Thomas Alpha Edison

In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden zwei Erfindungen populär: das magnetische Telefon von Alexander Graham Bell (1847-1922), das er 1876 auf der Weltausstellung in Philadelphia vorführte und das weltweites Aufsehen erregte, sowie 1877 Edisons Tonwalzenphonograph. In Bells Telephon fand auf der Aufnahmeseite erstmals die magnetische Induktion zur Umsetzung von Schallschwingungen in Elektrizität ihre Anwendung: Eine schwingende Eisenmembran ändert den Magnetfluß durch eine Spule.

Bell hatte 1880 ein Laboratorium für Sprachaufzeichnungen gegründet
- wie im ersten Teil dieser Artikelreihe ausführlich zu lesen ist -, und dort im „Volta Laboratorium" begann sein begabter Mitarbeiter Charles Sumner Tainter (1854-1940, Bild 5), mit einer Tonschrift zu experimentieren, die als Eisenprofil-Spur - hoch und tief wie die eingefrorenen Schwingungen der Telefonmembran - ausgeführt war. Magnetisch gemacht und vor einer Spule bewegt, sollte diese Spur durch die elektromagnetische Induktion das Signal für einen Telefonhörer liefern.

Tainter notiert seine Idee

Das Notizbuch des Erfinders wird in der Smithsonian-Institution in Washington aufbewahrt. Darin findet sich datiert mit dem 20. März 1881 folgende Eintragung [6]:

  • "Eine Füllfeder ist so an einer Membran angebracht, daß sie (wenn die Membran besprochen wird) in einer Ebene parallel zur Achse einer Walze vibriert. Der Füller, dessen Tinte Eisen in sehr fein zerkleinertem Zustand enthält, verursacht beim Drehen der Walze eine Spirallinie rund um sie. Um die Walze ist ein Blatt Papier gelegt, auf das die Aufzeichnung erfolgt. Diese Tinte kann mit einem Permanentmagnet magnetisch gemacht werden. Der aufgezeichnete Schall wird wiedergegeben nach einfachem Ersatz des Füllers durch einen Magneten ........ "


Ausgehend von dieser zunächst nur in der Phantasie geborenen Idee erfand Tainter, in den nächsten vier Jahren gedanklich und experimentell ausgearbeitet, ein realistisches Tonspeichersystem mit magnetoinduktiver Abtastung. Am 29. August 1885 meldete er sein Patent „Recording and Reproducing Sounds" an. Am 4. November 1866 wurde es erteilt [7].

Eine Eisenplatte mit Tiefenschrift

Bild 6. Grundprinzip von Tainters erhabener Magnetspur und ihrer Abtastung nach der Patentschrift [7]
Bild 7. So stellt sich nach Tainters Patentschrift die Magnetspur in Berg- und Talschrift graviert dar

Vom Papier um eine Walze war er zu einer Platte aus Eisen übergegangen mit einer erhabenen Spirale, auf der die Tonschrift in Berg- und Talmanier erschien (Bild 6 und 7). In seiner Patentschrift gibt er ausführlich an, wie auf einem Wachsmaster eine Rille in Tiefenschrift geschnitten und durch Galvanoplastik die Kopie in Eisen mit der jetzt erhabenen „Rille" erzeugt wird. Für die Geschichte der magnetischen Tonaufzeichnung blieb diese Entwicklung jedoch belanglos.

Das Abtastsystem mit magnetoinduktiver Wiedergabe

Anders ist es dagegen mit dem im Patent beschriebenen Abtastsystem. In ihm findet die magnetoinduktive Wiedergabe einer Magnetschrift ihren Ursprung. Das Patent enthält dazu eine ganze Bildseite mit Ausführungsmöglichkeiten (Bild 8). Alle enthalten sie einen Permanentmagneten (223), dessen magnetischer Kreis über einen Polschuh (222) - Tainter nennt ihn magnetische Nadel - und die entsprechend der Tonschrift in der Dicke variierende Eisenplatte geschlossen ist.

Oder aber, da der Polschuh durch einen Mechanismus über der Gravierung zwangsmäßig geführt wird, variiert der Luftspalt entsprechend der Tongravierung. Durch beide Ursachen ändert sich der magnetische Fluß in dem Polschuh, der in einer Spule (224) liegt und dort einen Strom induziert, der im Telefonhörer (225) den aufgezeichneten Schall hörbar macht. Tainter hat somit schon 1885 den magnetoinduktiven Lesekopf erfunden!
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Bild 8. Auf dieser Seite von Tainters Patentschrift wird erstmals die induktive Abtastung einer Magnetschrift vorgestellt
Bild 9a. Die Aufnahmeapparatur von Hedick nach seiner Patentschrift [8]. Tongesteuert wird ein magnetisches Profil auf das Band gesprüht (oberes Bild);
Bild 9b. die Abnahme (unteres Bild) erfolgt magnetoinduktiv

Mit dieser Schallschrift von wechselnder Eisendicke oder Eisendichte oder auch wechselndem Eisenabstand von einem Polschuh hat man noch 20 weitere Jahre experimentiert, auch noch, als die elektromagnetische Tonschrift schon erfunden war.
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Ein Holländer, Wilhelm Hedick aus Breda

Ein Jahr nach der Veröffentlichung von Tainters Patent, als aber dessen erste Idee von 1881 noch nicht veröffentlicht war, meldete ein Holländer, Wilhelm Hedick aus Breda, in Deutschland ein Patent an, das im Prinzip Tainters erste sehr vage Idee verwirklicht.

In dem 1888 erteilten Patent heißt es [8]:

  • "Die Erfindung betrifft eine Vorrichtung zum Aufzeichnen akustischer und elektrischer Wellen mittels Gas- oder Staubstrahlen, welche durch telefonartige Vorrichtungen longitudinal vibrierend gegen ein (vorbeilaufendes) Band geschleudert werden, um dadurch Schrift zu erzeugen, sowie auf Reproduktion mit Hilfe der erzeugten Schrift."

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Zum ersten Male wurde ein Band beschrieben

Hier ist es also ein Band, beispielsweise aus Papier, auf das für die verschiedenen möglichen Reproduktionsarten das jeweils geeignete Material als Tonschrift geschleudert werden kann. Bevorzugt wird die Herstellung eines Bandes beschrieben, das magnetisch abgetastet werden kann, und das ist dann eine Verwirklichung von Tainters erster Idee aus dem Jahr 1881; sein Füllfederhalter war dabei durch die technisch ausgereifte Bestäubungsanlage ersetzt.

Wie kompliziert die Bestäubungsanlage ist, das kann man aus den beiden dem Patent entnommenen Zeichnungen (in Bild 9) sehen; darin ist auch die Abnahmeeinrichtung (H) für die Magnetschrift enthalten. Im Text des Patentes heißt es:

  • "Die telephonartige Vorrichtung H kann noch mehr leisten. Sobald nämlich die Schrift sich durch magnetische Eigenschaften auszeichnet, z. B. mit Stahl-, Eisen- oder Nickelstaub beladen ist, erzeugt sie, über die Pole des Magneten der Vorrichtung H gezogen, ebenfalls elektrische Reproduktionsströme in den Drahtrollen der Pole auch ohne Berührung."

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