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Aus der Funkschau 1982 Heft Nr. 19
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 44 (von 72)

von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1982
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Ein Neuanfang mit dem Stahlton . . .

Selten war eine Erfindung im Augenblick ihrer Entstehung verlockender, aber auch selten hat eine Erfindung in den ihr folgenden zwei Jahrzehnten mehr Enttäuschungen bereitet als die des sprechenden Drahtes.

Um die Jahrhundertwende, als Valdemar Poulsen vorführte, daß man Tonschwingungen auf Stahldraht elektromagnetisch fixieren und dann wieder beliebig oft abhören konnte, schien es ihm und aller Welt, als berge die Erfindung unübersehbare Aussichten und Entwicklungsmöglichkeiten. Das Problem war so einfach, die mit primitivsten Apparaten erzielten Erfolge waren so ungemein verlockend, daß man sich überall um die praktische Anwendung bemühte.

Bild 26. Ein Gerät mit Stahlplatten ohne Rillen für die magnetische Aufzeichnung (Poulsen, 1903) (Foto: Deutsches Museum, München)

Viele große Elektrizitätsfirmen beschäftigten sich damit, doch der Erfolg trat nicht ein. Bald wurde es still um den sprechenden Draht. Poulsens spektakuläre Ouvertüre (Bild 26) geriet in Vergessenheit, seine Geräte kamen in die Museen.

Es dauerte fast 20 Jahre, bis es weiter ging . . .

Fast genau zwanzig Jahre nach Poulsens erster Patentanmeldung, 1918/19 kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, erfuhr der „Sprechende Draht" eine Wiedererweckung. Wieder war es eine Erfinderpersönlichkeit, die mit neuen Ideen die Angelegenheit vorantrieb, gut funktionierende Geräte realisierte und Fabrikanten dafür fand.

Dr. Curt Stille von der Berliner Firma "Mix und Genest"

Bild 27. Curt Stille (1873-1957)

Der Physiker Dr. Curt Stille (1873 bis 1957, Bild 27), hatte sich seinerzeit von der Berliner Firma "Mix und Genest" ein Poulsen-Drahtgerät zur Verfügung stellen lassen, mit dem Versprechen, es zu verbessern. Doch erst als er einen großzügigen Finanzier fand, konnte er an die Verwirklichung seiner Ideen gehen.

Es war der vor dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) in Deutsch-Südwestafrika tätig gewesene August Strauch, der durch Diamantfunde zum wohlhabenden Mann geworden war. Seinen Devisenbesitz - in der damaligen Inflationszeit besonders wertvoll - wollte er industriell anlegen. Dazu hatte er den „Vox-Schallplatten-Konzern" ins Leben gerufen, mit einer Dachgesellschaft „Hauptgesellschaft für Industrien".

Daneben finanzierte er Dr. Curt Stille und gab das Geld für die erste deutsche Rundfunkgesellschaft, die „Funkstunde - Berlin" [21]. So war Stille auch mit der Vox-Schallplattengesellschaft und der Funkstunde Berlin eng verbunden.

Für die Verwertung seiner Patente hatte Stille die Firma „Telegraphie- Patent- Syndikat" gegründet. Dort besuchte ihn Eduard Rhein und beschrieb ihn:

  • "Weich und empfindsam, stark schöngeistig, selbst schriftstellerisch - wissenschaftlich und belletristisch - tätig gewesen. -Einer von denen, die einer Idee ihr Leben widmen können."

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1933 im Laboratorium Denes von Mihaly

Ähnlich habe ich ihn 1933 im Laboratorium Denes von Mihaly kennengelernt, als wir im Auftrag der Firma Lorenz seine Stahlbandmaschine überprüften, und 1936 im Laboratorium von Telefunken, als er uns eine Unzahl von neuen Patentanmeldungen zur Übernahme anbot. 20% seiner Zeit war er als Erfinder tätig, die restlichen 80% war er unermüdlich unterwegs, um neues Geld zu beschaffen.
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Bild 28. Ein als Fernschreiber gedachtes Drahtgerät nach Stille mit Ab- und Aufwickelspule auf einer Achse

Sein Drahtdiktiergerät „Dailygraph", vertrieben von der Firma Echograph, wurde in größeren Stückzahlen hergestellt und erfreute sich großer Beliebtheit.

Man könnte es als einen Vorläufer des Miniphons der fünfziger Jahre bezeichnen: ein ungewöhnlich dünner Draht mit nur etwa 1kg Gewicht bei 4400m Länge für zwei Stunden Diktierzeit. Das war ein gewaltiger Fortschritt, verglichen mit Poulsens Telegraphon.
Eines seiner Drahtgeräte hatte die Ab- und die Aufwickelspule auf einer Achse (Bild 28), so ähnlich wie das Band bei der Grundig/Philips VCR-Video- kassette unserer Zeit.

Sprache ja, aber Musik noch nicht

Für Musik war das Gerät aber noch nicht besonders geeignet, sonst hätte Stille es bei der Funkstunde Berlin eingesetzt. Doch Amateure machten durchaus Versuche damit. So berichtete Ludwig Kapeller, Herausgeber der Zeitschrift Funk, 1927 von einem, wie er es nennt, „funkischen Scherz mit erschütternder Wirkung auf den Nichteingeweihten und sehr beachtenswerten und ernsten Hintergründen für den Rundfunk".

Kammersänger Corneelis Bronsgeest - ein Star der Funkstunde Berlin - hatte im Staatstheater in Schillings „Mona Lisa" gesungen und saß eine Stunde später bei Kapeller als Gast. Man wollte ihm Rundfunkempfang aus England vorführen.
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Bronsgeest hört sich zum ersten Male selbst

Bronsgeest saß und lauschte; zuweilen nickte er, ein Lächeln glitt über seine angespannten Züge, seine Augen begannen zu leuchten; dann streifte er, wie erschüttert, die Hörer vom Kopf; und als wenn er aus einem Traum erwachte, schaute er um sich:

  • „Ich habe mich eben selbst gehört!", und nach einem tiefen Aufatmen: „Es ist ein Rätsel - London hat 'Mona Lisa' übertragen! Und es ist gar kein Zweifel: ich habe meine Stimme deutlich erkannt, ich habe den Beifall gehört. Es ist gar kein Zweifel ! Aber wie, wie ist das möglich?"

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Auf ein Stille-Drahtgerät mit Anschlußmöglichkeit an einen Rundfunkempfänger hatte man - den Londoner Sender imitierend - in englischer Sprache aufgesprochen:

  • „Hier London 20, Sie hören jetzt eine Übertragung der Oper ,Mona Lisa' aus Berlin",

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und im Anschluß daran vom Rundfunkempfänger die Sendung des Berliner Rundfunks aufgezeichnet.

Dr. Stille und der Tonfilm und das Blattnerphone

Das war 1927, ein Vorgriff auf heute [22]. Doch für die Anwendung im Rundfunk reichte die Musikqualität des Drahtgerätes nicht aus, auch dann nicht, als Stille für diesen Zweck den Draht mit 2m/s laufen ließ (statt mit 1,2m/s wie für die Diktierzwecke).

Doch Dr. Stille ruhte nicht. Als um 1929 in Deutschland der Tonfilm eine rasante Entwicklung erfuhr, versuchte er es mit einer Realisierung mit Magnetton. Er baute synchron zum Bildfilm laufende Stahlbandgeräte [23].

In England fand er einen Interessenten für seine Entwicklungen. Louis Blattner, von deutscher Abstammung, zeigte im Oktober 1929 in den „Blattner Colour and Sound Studios", Elstree bei London, in einer von der Fachpresse [24, 25] als sensationell beschriebenen Vorführung Tonfilme mit dem Ton von einer von Stille bei der Vox gebauten Apparatur, nun „Blattnerphone" genannt.

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